Im Fürstentum Andorra wurde während Jahrhunderten zwischen dem Bischof von Urgell und dem Grafen von Foix und später (ab 1871) dem Präsidenten von Frankreich co-regiert.
Es gab eine einzige Ausnahme in der Geschichte Andorras, die bei der Mehrheit der Einwohner Andorras und Kataloniens wenig bekannt ist.
1934, zur Zeit der Zweiten spanischen Republik in politisch und sozial unruhigen Zeiten, kam in Andorra ein mysteriöser und sonderbarer Mann an. Sein Name war Boris Skossyreff Mawrusow, Graf von Orange und Baron von Skossyreff. Geboren am 12. Januar 1896 in Wilno (damaliges Polen) stammte er aus einer Familie kleinen russischen Adels, die sich in der zaristischen Armee einen Namen gemacht hatte.
Dank seiner Handlungsweise, einer starken Überzeugungskraft und Faszination gelang es ihm, einige Kapellane und Räte der andorranischen Regierung zu überzeugen, ihn als König des Fürstentums zu proklamieren. Gemäss dem Modell einer absoluten Monarchie, mit der Absicht, das Land in ein wichtiges Steuerparadies mit Banken und Casinos umzuwandeln.
Man weiss sehr wenig über sein abenteuerliches Leben bevor er nach Andorra kam. Bekannt ist, dass er als die bolschewistische Revolution 1917 ausbrach in England politisches Asyl suchte, wo er zwei Jahre bei der britischen Armee diente. Danach war er in Diensten des Foreign Office in diversen mehr oder weniger geheimen Missionen unterwegs, die ihn nach Sibirien, Japan und in die USA führten.
Die Distinguiertheit seiner Person, seine slawische Abstammung und seine sprachliche Begabung gewannen viel Sympathie. 1925 gab er seine Spionagetätigkeit auf. Mit einem Nansen Pass – den staatenlose bekamen – ging er nach Holland. Es ist nicht bekannt was er in diesen Jahren machte. Jahre später behauptete Boris im Dienste des königlichen Hauses gearbeitet zu haben und versicherte von Königin Guillermina I mit dem Titel Graf von Orange ausgezeichnet worden zu sein. In Wirklichkeit besass er nur den Titel Baron.
Am 21. März 1931 heiratete er eine geschiedene, 10 Jahre ältere Frau. Er trennte sich bald wieder und als er das erste mal nach Andorra kam, war er in eine schöne junge Engländerin verliebt.
In Santa Coloma lebte er in einem Haus das heute noch das „Haus der Russen“ genannt wird. Auch wegen eines anderen Russen der dort wohnte und von dem man sagt, dass er die ersten Tabakpflanzen nach Andorra gebracht hat.
In Kontakt mit der andorranischen Wirklichkeit begann er seinen Plan auszuhecken. Er führte lange Gespräche mit Bauern, Handwerkern und Politikern. Bald wurde ihm klar, dass die jugendliche Gruppe welche einige Monate vor seiner Ankunft revoltierte, seine progressiven Ideen die einen besseren Lebensstandard garantieren würden, positiv aufnehmen könnte.
In diesem harten und kargen Land, die Hälfte des Jahres vereist, war das Überleben schwierig und kompliziert. Die einzigen Einnahmequellen kamen praktisch aus der Landwirtschaft und Tierhaltung, ausser dem Schmuggel. Man kannte keinen Wintersport. Das Weiden und eine kleine Tabakernte bereicherten nicht die Staatskasse. Doch der Sinn für das Neue erschreckte. Ein Vorschlag im Jahr 1881 für den Bau eines Spielcasinos, nach dem Beispiel Monte Carlos, löste heisse Diskussionen aus und den ersten und einzigen Bürgerkrieg den die Täler erlebten: die progressiven Gemeinden gegen die konservativen. Das Casino wurde nicht gebaut da auch der Bischof von Urgell es als Vorzimmer zur Hölle betrachtete.
Seit 1419 hatten die Landesväter die Gewohnheit sich vier mal im Jahr im 'Casa de les Valls' zu versammeln, um die Probleme der Bevölkerung zu besprechen, mögliche Lösungen ernsthaft zu diskutieren und anschliessend enthusiastische Unterwerfungspamphlete an ihre zwei Co-Fürsten zu senden: den Bischof von Urgell und das Staatsoberhaupt von Frankreich.
Es kann vermutet werden, das die grösste Attraktivität Andorras in der quasi absoluten Interessenlosigkeit gegenüber dem Haufen von rüden, gelassenen, armen Bergbewohnern lag, die keine nennenswerte Verwirrung verursachten, nach ihren eigenen gewohnheitsmässigen Gesetzen lebten und pünktlich ihre jährlichen Beweise der Ehrfurcht an die Mitra in Urgell und an den Präsidenten von Frankreich überbrachten.
1934 beruhigten sich die „Versuche die Autorität des Bischofs zu untergraben“ welche ein Jahr zuvor begonnen hatten. Der Konflikt hatte an Aktualität verloren. Es gab auch keine Spannung mit Spanien. Der Präsident der Zweiten spanischen Republik Alcalá Zamora, hatte gerade ein Telegramm mit gutem Willen und seine besten Wünsche für die Zukunft, an die Autoritäten Andorras geschickt.
Am 17. Mai 1934 präsentierte der Baron den Volksvertretern und anderen Räten der andorranischen Regierung ein Dokument in dem er seine Vorhaben begründete. Die Antwort die er von ihnen bekam, war für ihn sehr ungünstig.
Am 22. Mai erhielt er den plötzlichen Befehl der Ausweisung vom andorranischen Territorium, dekretiert vom französischen (Vertreter) Landvogt und auch unterzeichnet von seinem episkopalen Kollegen.
Boris ging nicht weit ins „Exil“ nach Seu d’Urgell und stieg im Hotel Mundial ab, wo er eine starke Werbekampagne begann. Er gab unzählige Interviews an alle Medien die kamen um ihn zu sehen und einige telefonische Interviews an The Times und The Daily Herald. Vom 29. Mai bis 5. Juli zog er nach Torredembarra von wo er einen neuen Angriff startete. In einem Interview mit der Madrider Zeitung 'Ahora' gestand er selbst: „Ich habe kein geschichtliches Recht für meine Ansprüche. Ich mache es einzig und allein als Kavalier zur Verteidigung der Rechte der Spanier die in Andorra wohnen und von der benachbarten Republik schikaniert werden.“
Herrschaft von Boris I
Sonntag 7. Juli 1934 der Volksvertreter der Täler von Andorra rief den Generalrat ins Casa de les Valls.
Anwesend waren 18 Räte. Der Volksvertreter unterbreitete die Angelegenheit welche die überlegte Meinung der Bevollmächtigten benötigte: Boris von Skossyreff, ein im Exil lebender Russe der des öfteren Andorra (als Tourist) besuchte und sich Graf von Orange titulierte, hatte mit ihm gesprochen um ihm eine revolutionäre Änderung der wirtschaftlichen Struktur des Fürstentums vorzuschlagen.
Ähnlich wie es in den anderen europäischen Fürstentümern wie Monaco, Liechtenstein, San Marino oder Luxemburg geschehen war, Steuerparadiese wo Steuern praktisch nicht existierten oder stark reduziert waren. Der dynamische Ausländer verpflichtete sich, die Täler von Andorra, in eines der wichtigsten Wirtschaftszentren der Welt zu verwandeln: wo Banken, Finanzinstitute und internationale Firmen ihren Geschäftssitz ansiedeln und das Steuersystem nutzen würden.
Im Austausch für die glückliche Zukunft und dem zu erwartendem Wohlstand der andorranischen Bevölkerung wollte Skossyreff eine Belohnung: Der Generalrat sollte ihn als Fürst von Andorra proklamieren.
Der Vorschlag von Boris bekam quasi die gesamte Zustimmung der Kammer ausser eines Repräsentanten, des Abgeordneten Cinto von Encamp, welcher ein deutliches Veto einlegte. Mit nur einer Gegenstimme von 24 die den Rat bildeten, war die Monarchie gegründet.
Begleitet von einer Gruppe getreuer Mitarbeiter, die junge Engländerin, die nordamerikanische Millionärin Florence Mazmon, der Rat Pere Torras Ribas-, hatte sich der Kandidat für den andorranischen Thron im Gasthaus Calons in Sant Julià de Lòria eingerichtet. Das Projekt, dem viele Männer des Gesetzes, einige junge Andorraner mit Lust auf Emanzipation und die reiche Nordamerikanerin unterstützten, nahm seinen Lauf.
Der Vorschlag den Boris den Volksvertretern Andorras unterbreitete beinhaltete einen tieferen Aspekt als nur den wirtschaftlichen. Die Täler hatten eine geteilte Herrschaft. Das Dynastieerbe vom Hause Foix ging zu den Königen von Frankreich, aber die Revolution beendete diesen Zustand. Andorra wurde als Feudalstaat zurückgewiesen und die Andorraner konnten ihre Freiheit quasi nur durch ein Wunder erhalten.
Das revolutionäre Frankreich verzichtete auf alle Feudalrechte, welche es über Andorra gehabt hatte. Die Andorraner, die nicht nur dem Bischof von Urgell unterworfen sein wollten, paktierten mit Napoleon I im Jahr 1806, der die bisherige Co-Herrschaft in ein Co-Fürstentum verwandelte.
Man hatte zu einem aussergewöhnlichen Mittel gegriffen (in der Geschichtsschreibung) dass die Oberhäupter des französischen Staates die Nachfolger der Grafen von Foix seien, obwohl es in Wirklichkeit natürlich die Herrscher der französichen königlichen Familie im Exil waren...
Boris nahm mit verschiedenen legitimen Gruppen in Südfrankreich Kontakt auf. In Perpignan überreichte er seine Pläne dem Vertreter von Prinz Joan d’Orleàns, Herzog von Guisa, Bewerber auf den Thron von Frankreich. Seine Argumentation basierte darauf, dass die Staatsoberhäupter von Frankreich weiterhin die Rechte und Funktionen eines Co-Fürsten von Andorra innehatten, welche das private Eigentum des Hauses Orleans war, das legitime Erbe der Dynastie von Foix.
Der Thronanwärter liess einige Broschüren drucken:
„Seine königliche Hoheit der Herzog von Guisa fordert vom Gericht, dass seine Güter und Rechte ausserhalb von Frankreich, die ihm von seinen Vorfahren vermacht wurden, als Erben der Grafen von Foix und Bearn, Fürsten von Andorra, wieder zurückerstattet werden.“
Während der Herzog von Guisa abwartete wie es weitergeht, titulierte sich Boris bereits „Stellvertreter des Königs von Frankreich“; sein Abenteuer hatte eine solidere Basis als manche dachten. Es wurde eine andorranische Verfassung veröffentlicht, die das traditionelle politische System Andorras grundlegend änderte. Das Co-Fürstentum würde Freiheiten, Modernisierung, Geld, ausländische Investitionen und die Anerkennung als Steuerparadies haben.
Boris druckte 10’000 Exemplare seiner Verfassung und übermittelte sie an spanische und französische Persönlichkeiten. Eines davon landete in den Händen vom Bischof von Urgell (dank Cinto), seine Excellenz Justí Guitart, was die Feindseligkeit des Prelats auslöste, der den Anwärter in Presseerklärungen für total unbefugt darstellte. Er sagte, dass die einzigen Co-Fürsten Andorras er und der Präsident der französischen Republik seien.
Und kein Russe im Exil der gerade nach Andorra gekommen war.
Währenddessen begann Boris sich wie ein echter Monarch zu benehmen. Er schrieb seine Entwürfe für das offizielle Bulletin des neuen Fürstentums. Skossyreff empfing Besuche, machte offizielle Empfänge und organisierte unzählige Festakte, hielt Fotografensitzungen für monarchische Postkarten… er spielte die Rolle eines perfekten Monarchen.
Ein grosser Teil seiner Pläne fiel wegen der Entschiedenheit eines einzigen Mannes ins Wasser. Wenn der Abgeordnete Cinto nicht am 08.07. nach Seu d’Urgell gegangen wäre und dem Bischof die ganze Intrige erzählt hätte, wäre die Geschichte vermutlich vollkommen anders verlaufen.
Am selben Tag teilte Frankreich offiziell mit, dass es in Andorra nicht intervenieren wird; es überliess alle Entscheidungen dem Generalrat und erachtete die Monarchie von Boris I als gültig, wenn dies so beschlossen würde.
Das geringe Interesse Frankreichs in dieser Angelegenheit und das Panorama jener Tage hätten Boris sicherlich erlaubt die Monarchie in Andorra zu proklamieren. Sogar der Ministerrat Spaniens hatte das Thema debattiert um sich ein wenig Klarheit über diese andorranische Angelegenheit zu verschaffen. Doch wie gesagt, ein Abgeordneter hatte die Waage umgekippt.
Am 09. Juli 1934 wurde die provisorische Regierung und die neue Verfassung veröffentlicht, mit der die absolute politische, religiöse- und Pressefreiheit dekretiert wurde. Am 10. Juli in einer erneuten Abstimmung wird die Zustimmung zur Monarchie mit dem gleichen Ergebnis (23 zu 1) wiederholt.
In einem anderen Treffen mit Reportern am 15. Juli erklärt Skossyreff, dass er schon die Liste für seine neue Regierung in der Tasche hätte und auch den Plan der sein neues Königreich vorantreiben sollte: „Schutz den Bedürftigen, Schulbildung für alle und Sport, viel Sport. Aber keine verbotenen Spiele.“
Die Herrschaft von König Boris dauerte nur wenige Tage und er spielte seine Rolle perfekt.
Der Bischof von Urgell zögerte nicht: 4 spanische Polizisten und ein Sergeant, vom Bischof am 21.07. entsandt, begleiteten den aufrührerischen Monarchen an die Grenze seines Königreiches. Seine Untertanen hatten in der Stunde der Wahrheit keinen Finger gerührt. Aus geringer Distanz schauten sie zu, wie ihr König verhaftet und in Handschellen Richtung La Seu gebracht wurde.
Von dort wurde er umgehend von der Polizei nach Barcelona überführt und dem Sonderrichter Sr. Bellón vorgeführt, Beauftragter für Fälle im Zusammenhang mit dem Gesetz für Vagabunden und Gesindel.
Er war es, der feststellte, dass es sich um dasselbe Individuum handelte welches 1932 von Mallorca ausgewiesen wurde, als er dort mit einer englischen Millionärin lebte.
Am 23.07. wurde er in einem Wagon der dritten Klasse von zwei Polizisten bewacht, im Zug nach Madrid gebracht. Dies verhinderte jedoch nicht, dass seine Ankunft in der spanischen Hauptstadt erhebliches Aufsehen erregte. Die Medien zollten ihm grosse Bewunderung und Aufmerksamkeit.
Er kam ins Gefängnis „La Model“ in Madrid, spielte aber weiterhin die Rolle des Monarchen im Exil. Etwas später wurde er von Spanien nach Portugal ausgewiesen. Für immer fern von seinem Fürstentum, zu dem er nie wieder zurückkehrte. Boris ging ohne festes Ziel während der nächsten 4 Jahre nach Lissabon, Tanger, Gibraltar….
1938 erlaubten ihm die französischen Autoritäten nach Aix zurückzukehren, wo er sich mit seiner wirklichen Ehefrau traf. Im Februar 1939 finden wir Boris in einem französischen Internierungslager mit antifrancistischen Spaniern, neben antifaschistischen Italienern und Mitteleuropäern des besetzten Reichs vor dem Zweiten Weltkrieg. Aus welchem Grund und welche Klagen gegen ihn vorlagen ist unbekannt.
Im Konzentrationslager von Rieucros, verloren sich die Spuren des Baron von Skossyreff für immer in der Vergessenheit.
Quelle: http://ca.wikipedia.org
MORELL, Antoni. Boris I, rei d'Andorra.